DAS INSOLVENZVERFAHREN
Das Insolvenzverfahren ist ein gerichtliches Verfahren zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger eines Schuldners aus dessen Vermögen. Es dient dem Schutz der Gläubiger und ermöglicht dem Schuldner einen Neuanfang.
ANTRAGSTELLUNG UND ERÖFFNUNGSVORAUSSETZUNGEN
Ein Insolvenzverfahren kann sowohl vom Schuldner selbst als auch von seinen Gläubigern beantragt werden. Voraussetzung ist die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners.
Zahlungsunfähigkeit
Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Dies ist der Fall, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat oder nicht mehr in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten zu begleichen.
Die Zahlungsunfähigkeit kann sowohl bei natürlichen Personen als auch bei juristischen Personen vorliegen. Bei Unternehmen ist sie oft gekennzeichnet durch:
- Nicht bezahlte Rechnungen
- Überzogene Bankkonten
- Nicht eingehaltene Zahlungsvereinbarungen
- Verzug mit Gehaltszahlungen
Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt durch das Insolvenzgericht auf Grundlage der vorgelegten Unterlagen und der Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners.
Überschuldung
Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Dies ist insbesondere bei Kapitalgesellschaften relevant, da hier bereits bei Überschuldung ein Insolvenzantrag gestellt werden muss.
Die Überschuldung wird durch einen Vergleich des Vermögenswerts mit dem Wert der Verbindlichkeiten ermittelt. Dabei sind sowohl die Liquidationswerte als auch die Fortführungswerte zu berücksichtigen.
Besondere Bedeutung hat die Überschuldung bei:
- GmbH und GmbH & Co. KG
- Aktiengesellschaften
- Genossenschaften
- Vereinen mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb
INSOLVENZVERWALTER UND SEINE AUFGABEN
Der Insolvenzverwalter übernimmt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse. Er vertritt die Interessen aller Gläubiger und sorgt für eine geordnete Abwicklung des Verfahrens.
Bestellung und Aufgaben
Der Insolvenzverwalter wird vom Insolvenzgericht bestellt. Er muss unabhängig und qualifiziert sein. Zu seinen Hauptaufgaben gehören:
- Bestandsaufnahme: Erfassung und Sicherung aller Vermögenswerte
- Verwaltung: Fortführung oder Stilllegung des Unternehmens
- Verwertung: Verkauf der Vermögenswerte
- Gläubigerbetreuung: Information und Beratung der Gläubiger
- Verteilungsplan: Aufstellung des Verteilungsplans
Der Insolvenzverwalter hat dabei stets die Interessen aller Beteiligten im Blick und handelt nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Transparenz.
Haftung und Aufsicht
Der Insolvenzverwalter haftet für Schäden, die er durch schuldhafte Verletzung seiner Pflichten verursacht. Seine Tätigkeit unterliegt der Aufsicht des Insolvenzgerichts und der Gläubiger.
Die Aufsicht erfolgt durch:
- Regelmäßige Berichte an das Gericht
- Gläubigerversammlungen
- Gläubigerausschuss (bei größeren Verfahren)
- Gerichtliche Überprüfung wichtiger Entscheidungen
Bei groben Pflichtverletzungen kann der Insolvenzverwalter abberufen und durch einen neuen Verwalter ersetzt werden.
GLÄUBIGERRECHTE UND -BETEILIGUNG
Im Insolvenzverfahren haben alle Gläubiger das Recht, ihre Forderungen anzumelden und am Verfahren teilzunehmen. Die Gläubiger können ihre Interessen durch verschiedene Gremien vertreten lassen.
Forderungsanmeldung
Jeder Gläubiger muss seine Forderung beim Insolvenzverwalter anmelden. Die Anmeldung erfolgt schriftlich und muss bestimmte Angaben enthalten:
- Höhe der Forderung
- Fälligkeitsdatum
- Art der Forderung (z.B. Kaufpreis, Miete, Darlehen)
- Beweismittel (Rechnungen, Verträge, etc.)
Die Anmeldung muss innerhalb der vom Gericht festgesetzten Frist erfolgen. Verspätete Anmeldungen können zu Nachteilen führen.
Nach der Anmeldung prüft der Insolvenzverwalter die Forderung und erstellt ein Forderungsverzeichnis. Bestrittene Forderungen werden vor dem Insolvenzgericht verhandelt.
Gläubigerversammlung
Die Gläubigerversammlung ist das zentrale Organ der Gläubiger im Insolvenzverfahren. Sie entscheidet über wichtige Fragen des Verfahrens und wählt den Gläubigerausschuss.
Die Gläubigerversammlung wird vom Insolvenzgericht einberufen und findet in der Regel in den Räumen des Gerichts statt. Sie ist öffentlich, aber nur Gläubiger haben Stimmrecht.
Wichtige Entscheidungen der Gläubigerversammlung sind:
- Wahl des Gläubigerausschusses
- Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens
- Genehmigung wichtiger Verwertungsmaßnahmen
- Festlegung der Vergütung des Insolvenzverwalters
- Entscheidung über den Insolvenzplan
Die Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der anwesenden Gläubiger gefasst, wobei die Stimmkraft nach der Höhe der Forderungen gewichtet wird.
INSOLVENZPLAN UND SANIERUNG
Der Insolvenzplan ermöglicht es dem Schuldner, eine außergerichtliche Einigung mit seinen Gläubigern zu erzielen. Er bietet die Chance auf eine Sanierung und den Erhalt des Unternehmens.
Inhalt und Struktur
Der Insolvenzplan muss bestimmte Mindestanforderungen erfüllen und detaillierte Regelungen für die Befriedigung der Gläubiger enthalten. Er besteht aus mehreren Teilen:
- Darstellungsteil: Beschreibung der wirtschaftlichen Situation und der Sanierungskonzeption
- Gestaltungsteil: Konkrete Regelungen für die Gläubigerbefriedigung
- Finanzierungsteil: Nachweis der Finanzierung der Sanierung
- Anhang: Wirtschaftsplan, Gutachten und weitere Unterlagen
Der Plan muss realisierbar und für die Gläubiger vorteilhafter als die Liquidation sein. Er kann verschiedene Sanierungsinstrumente vorsehen:
- Teilzahlungen über mehrere Jahre
- Schuldenverzicht (Haircut)
- Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital
- Stundung von Zahlungen
Verfahren und Zustimmung
Der Insolvenzplan wird vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter erstellt und den Gläubigern zur Abstimmung vorgelegt. Die Zustimmung erfolgt in getrennten Gruppen:
- Eigentümer: Bei Kapitalgesellschaften
- Absonderungsberechtigte: Gläubiger mit Sicherungsrechten
- Massegläubiger: Gläubiger mit Masseforderungen
- Insolvenzgläubiger: Alle anderen Gläubiger
Für die Annahme des Plans ist in jeder Gruppe eine Mehrheit der abstimmenden Gläubiger erforderlich, die mindestens 75% der Forderungen vertritt.
Nach Annahme des Plans wird er vom Insolvenzgericht bestätigt und das Insolvenzverfahren wird aufgehoben. Der Schuldner kann dann seine Sanierung umsetzen.
RESTSCHULDBEFREIUNG FÜR NATÜRLICHE PERSONEN
Die Restschuldbefreiung ermöglicht es natürlichen Personen, nach Ablauf einer bestimmten Zeit von ihren restlichen Schulden befreit zu werden. Sie ist ein wichtiger Schutzmechanismus für Privatpersonen.
Voraussetzungen und Verfahren
Die Restschuldbefreiung setzt voraus, dass der Schuldner während der Wohlverhaltensperiode bestimmte Pflichten erfüllt hat. Die Dauer beträgt in der Regel 6 Jahre, kann aber in besonderen Fällen auf 5 Jahre verkürzt werden.
Während der Wohlverhaltensperiode muss der Schuldner:
- Alle pfändbaren Einkünfte an den Treuhänder abtreten
- Ehrlich und gewissenhaft arbeiten
- Keine neuen Schulden machen
- Den Treuhänder über Änderungen informieren
- An den Gläubigern mitwirken
Die Abtretung der pfändbaren Einkünfte erfolgt an einen Treuhänder, der diese an die Gläubiger verteilt. Der Schuldner behält nur den unpfändbaren Teil seines Einkommens.
Bei Verstößen gegen die Pflichten kann die Wohlverhaltensperiode verlängert oder die Restschuldbefreiung versagt werden.
Vorteile und Nachteile
Die Restschuldbefreiung bietet dem Schuldner die Chance auf einen finanziellen Neuanfang. Sie ist jedoch mit erheblichen Einschränkungen verbunden.
Vorteile:
- Befreiung von allen restlichen Schulden
- Möglichkeit eines finanziellen Neuanfangs
- Keine weiteren Gläubigerforderungen
- Rechtliche Klarheit
Nachteile:
- Lange Wohlverhaltensperiode (5-6 Jahre)
- Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit
- Überwachung durch Treuhänder
- Negative Eintragung in der Schufa
- Eingeschränkte Kreditmöglichkeiten
Die Restschuldbefreiung ist daher nur dann sinnvoll, wenn der Schuldner keine realistische Chance hat, seine Schulden in absehbarer Zeit zu tilgen.
BESONDERE INSOLVENZVERFAHREN
Neben dem regulären Insolvenzverfahren gibt es verschiedene Sonderformen, die besonderen Anforderungen und Zielen dienen. Diese Verfahren ermöglichen eine flexiblere und oft schnellere Abwicklung.
Verbraucherinsolvenzverfahren
Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist ein vereinfachtes Insolvenzverfahren für natürliche Personen, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Es ist kostengünstiger und schneller als das Regelverfahren.
Besonderheiten des Verbraucherinsolvenzverfahrens:
- Vereinfachte Antragstellung
- Geringere Kosten
- Kein Insolvenzverwalter (außer bei Vermögen)
- Direkte Restschuldbefreiung möglich
- Kürzere Verfahrensdauer
Das Verfahren eignet sich besonders für Arbeitnehmer, Rentner oder Arbeitslose, die überschuldet sind und keine Aussicht auf Schuldentilgung haben.
Schutzschirmverfahren
Das Schutzschirmverfahren ist ein vorinsolvenzliches Verfahren, das es dem Schuldner ermöglicht, unter gerichtlichem Schutz mit seinen Gläubigern über eine außergerichtliche Sanierung zu verhandeln.
Vorteile des Schutzschirmverfahrens:
- Keine Insolvenzeröffnung
- Schutz vor Gläubigerzugriff
- Zeit für Sanierungsverhandlungen
- Geringere Kosten
- Bessere Reputation
Das Verfahren dauert maximal 3 Monate und kann bei Bedarf um weitere 3 Monate verlängert werden. Es ist besonders für Unternehmen geeignet, die eine realistische Sanierungschance haben.